Filmkritik «The Banshees of Inisherin»: Einer, der bleiben wird (2024)

«The Banshees of Inisherin» erzählt Oscar-würdig vom brutalen Ende einer Männerfreundschaft.

Andreas Scheiner

5 min

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Filmkritik «The Banshees of Inisherin»: Einer, der bleiben wird (1)

Im April 1923 kommt es auf der kleinen Insel Inisherin an der irischen Westküste zu einer unerwarteten Entwicklung. Colm Sonny Larry Doherty beschliesst, nicht länger mit Pádraic Súilleabháin in den Pub zu gehen.

Colm Sonny Larry (Brendan Gleeson) lebt zurückgezogen im einsamen Haus über der Bucht. Dort holt ihn Pádraic (Colin Farrell) immer Punkt zwei Uhr nachmittags ab. Eines Tages im April – ein Tag wie jeder andere in dem dünnbesiedelten Eiland – klopft Pádraic vergebens an die Tür seines Freundes. Durch das Fenster sieht er diesen drinnen sitzen und rauchen. «Colm, kommst du? Es ist zwei Uhr!» Colm bleibt sitzen.

Das muss Pádraic seiner Schwester Siobhán erzählen. «Ich klopfte bei Colm Sonny Larry, und er sitzt einfach da», berichtet er zu Hause. «Er sitzt da und macht was?», fragt Siobhán (Kerry Condon), die mit Pádraic einen einfachen Hof mit Pony und Esel bewohnt. «Sitzt da und macht nichts, raucht.» Ob der Bruder sich mit seinem Freund gestritten habe, will Siobhán wissen. «Habt ihr euch gestritten?», fragt im Pub auch der Barkeeper, als Pádraic allein kommt. Pádraic wiederholt, was er weiss. «Er sitzt da und macht nichts, raucht.»

Filmkritik «The Banshees of Inisherin»: Einer, der bleiben wird (2)

Es ist mysteriös. Erst recht, als Colm dann plötzlich gutgelaunt im Pub auftaucht. Doch als er Pádraic sieht, dreht er ab. «Setz dich woanders hin», knurrt er. Und setzt sich selber woanders hin. Was er ihm eigentlich getan habe, verlangt Pádraic zu wissen. Colm schaut ihm ins Gesicht. Nichts habe er ihm getan. «Ich mag dich einfach nicht mehr.» – «Ja, aber», protestiert Pádraic. «Du mochtest mich gestern.»

Es ist Krieg

So geht das los. Ein Mann kündigt dem andern die Freundschaft. Aus dem Nichts. Dann verhärtet sich der Konflikt. Er artet aus, Worte werden Taten. Aus «Colm, kommst du? Es ist zwei Uhr» wird irgendwann: «Morgen, zwei Uhr, werde ich vor deinem Haus stehen und es anzünden.»

Der Regisseur Martin McDonagh zeigt das Auseinanderbrechen einer Freundschaft in Eskalationsstufen. Was nach Krieg klingt, ist einer: Während sich Colm und Pádraic auf der Insel beharken, tobt auf dem Festland der irische Civil War. Drüben in der Ferne donnern die Kanonen. Die Fehde der Freunde spiegelt den Bruderkrieg.

Eine Banshee ist im irischen Volksglauben ein Geist, der einen bevorstehenden Tod voraussagt. «The Banshees of Inisherin» ist ein Film über das kleine Sterben einer Freundschaft, in dem das grosse Sterben mitklingt. Es ist ein sperriger Titel. Aber McDonagh ist schon einmal mit einem sperrigen Titel sehr gut gefahren: Mit seinem letzten Film, «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri», holte er 2018 sieben Oscar-Nominationen. Ausserdem mag McDonagh eine einfache Geschichte erzählen, aber er will es einem nicht einfach machen. Und den Figuren auch nicht. Sie tun, was sie tun müssen, aber nicht sollten. So wird Drama draus.

Martin McDonagh kann schreiben. Die Dialoge sind scharf abgeschliffen, jedes Wort wetzt. Er ist eloquent als Erzähler, ein Romantiker und Softie und dann auch wieder ein Grobian. McDonagh zeichnet schöne Bilder, weil er sie brechen will. Ein Feingeist mit Gewaltphantasien. In seinen Filmen bricht immer irgendwann die Gewalt hervor, was irritiert und genau das aber auch sollte. Denn McDonagh versteht, dass Gewalt im Film irritieren muss. Fragwürdig wird es erst, wenn sie es nicht tut.

Tolstoi statt Tarantino

Er musste das aber auch lernen. Mit dem Debüt «In Bruges» (2017) brachte sich der Mann, der vom Theater kommt, im Kino ein. Der Gangsterschwank war von Ironie durchsetzt. Als wäre es einer von Quentin Tarantino. Was so gut ankam, dass McDonagh es beim nächsten Mal übertrieb: In «Seven Psychopaths» verkam ihm die Gewalt zur Gaudi.

Heute ist McDonagh überlegter, Pate steht statt Tarantino eher Tolstoi. Vermutlich hat er dessen Erzählung «Vater Sergej» gelesen. Als bei Tolstoi eine Frau den Eremiten Sergej bedrängt, hackt der sich mit einem Beil einen Finger ab. Bei McDonagh greift der Einsiedler Colm zur Schafschere.

Pádraic kann nicht akzeptieren, dass die Freundschaft vorbei ist. Er läuft Colm hinterher wie ein abgerichteter Hund. So lange, bis Colm droht, sich einen Finger abzuschneiden. Und dann einen zweiten. Weiter und weiter werde er sich die eigenen Finger weghauen, bis Pádraic ihn in Ruhe lasse. Oder er, Colm, keine Finger mehr habe.

Was ist in ihn gefahren – lieber verstümmelt er sich, als weiter mit Pádraic zu verkehren? Könnte es sein, dass er «unreine Gedanken» habe und sich deshalb kasteie? Das denkt der Priester auf der Insel, aber Colm wünscht den Mann zum Teufel. Pádraic sei einfach schrecklich «dull», öde, erklärt sich Colm gegenüber Pádraics Schwester. «But he’s always been dull», erwidert die Schwester.

Filmkritik «The Banshees of Inisherin»: Einer, der bleiben wird (3)

Lakonisch und traurig

Colm hat keine Zeit mehr für öden Zeitvertreib. Statt im Pub zu hocken, will er Violine spielen. Er ist Folk-Musiker und möchte auf seine alten Tage wieder komponieren. Erzählt Martin McDonagh also eine Geschichte vom Opfer, das es für die Kunst zu erbringen gilt? Im Gegenteil wird ein missliches Dilemma daraus. Denn Colm kann sich die Finger abschneiden und sich Pádraic vom Hals halten. Aber je weniger Finger er hat, desto schwieriger wird es mit der Violine.

«The Banshees of Inisherin» ist eine Ballade von lakonischem Witz. Aber das macht sie nicht komisch. Sondern eher noch trauriger. «Colm Doherty, weisst du, was du einmal warst?», sagt Pádraic. «Du warst nett.» Nettsein sei aber nichts, was die Zeit überdauere, entgegnet Colm. Musik bleibe. Malerei, Poesie bleibe.

Wer ihm in den Sinn komme von vor zweihundert Jahren, der nett gewesen sei, will er von Pádraic wissen. «Ja, wer?» – «Absolutely no one», sagt Colm. Doch jeder kenne Mozart. Pádraic schüttelt den Kopf. «Ich nicht. So viel zu deiner Theorie.» Martin McDonagh hält es mit dem einen wie dem andern: «The Banshees of Inisherin» ist ein Film, der zutiefst menschlich ist. Aber nie zu nett. Einer, der bleiben wird.

«The Banshees of Inisherin» läuft im Kino.

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